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Für die südlichen Regionen des ehemaligen Jugoslawien war der slowenische Norden ökonomisches Vorbild und eine Art Indikator für die (vorherrschende?) Stimmung im Land. Die enorm hohe Selbstmordquote, bei enorm hoher Wirtschaftsleistung, ähnlich wie in Dänemark, Österreich und Ungarn, war ein streng gehütetes Tabu. Davon sprach man nicht, man wollte lieber überleben.
Von Otto Reiter.

Von Selbstmördern und wenigen Überlebenden

Im ehemaligen Jugoslawien spielte das slowenische Filmschaffen eine marginale Rolle und dennoch gibt es einige aktuelle Highlights.

Slowenien war und ist kein utopisches Bilderland, kein Film-, kein realitätsflüchtiges Kinoland, viel mehr eine rechtschaffene Arbeiter- und Arbeiterinnen-Nation. Dass Titos Mutter Slowenin war, wissen heute noch viele. Dass Peter Handkes eindringlichstes Buch „Wunschloses Unglück“ den Selbstmord seiner verzweifelten slowenischen Mutter beschreibt, daran erinnern sich vielleicht noch einige.

Auch dass der mutige jugoslawische Regisseur Dušan Makavejev in den siebziger Jahren aus Belgrad verjagt wurde, haben heute manche vergessen: „Nur die Slowenen wollten mich wieder zurückhaben. In Belgrad oder Novi Sad war ich nicht willkommen. Auch in Sarajewo galt ich noch lange als Staatsfeind, was ich einigen strengen Parteibürokraten zu verdanken habe. Einzig die Slowenen wagten erstmals 1986, eine Retrospektive meiner Arbeiten zu zeigen. Aber sie wurden unter Druck gesetzt und erhielten keine Kopien. Beeindruckt hat sie das jedoch nicht. Sie haben sich einfach die Filme aus Archiven in Deutschland und anderen Ländern geholt.“

Im ehemaligen Jugoslawien spielte das slowenische Filmschaffen eine marginale Rolle und dennoch gibt es einige Highlights. Genannt werden sollte etwa der sensible slowenische Kamera-Artist Vilko Filac, der Emir Kusturicas international gefeierte frühe Werke wie „Erinnerst du dich an Dolly Bell?“ (1981), „Papa ist auf Dienstreise“ (1984), „Zeit der Zigeuner“ (1988) fotografierte. Auch diese wunderbare Arbeitsgemeinschaft ist mittlerweile zerbrochen.

Und nur ganz wenige haben wie der slowenische Regisseur Filip Robar-Dorin die Schrecken der neunziger Jahre prophetisch thematisiert. In seinem Film „Ovni in mamuti“ („Widder und Mammuts“, gedreht 1985, Kamera: Karpo Godina) zeigt er sarkastisch und semidokumentarisch das beidseitig von Vorurteilen geprägte Leben bosnischer „Gastarbeiter“ in Slowenien. Fast bescheiden wirkt der ironische Kommentar im Film, wenn nur von Slowenen die Rede ist: „Gäbe es keine Bosnier, wir müssten sie erfinden. Einst waren alle Slowenen zerstritten, aber jetzt lieben sie einander wieder, den wir haben einen gemeinsamen Feind: den Bosnier. Wir sind wieder stolz, Slowenen zu sein. Die Bosnier sind unsere dringende historische Notwendigkeit. Vor langer Zeit vertrieben und vernichteten wir die Juden, aber die wenigen verbliebenen Zigeuner können doch nicht an allem schuld sein. Nicht einmal die Arbeiterklasse können wir für Magenverstimmungen, untreue Frauen und versoffene Nächte verantwortlich machen, weil wir doch jetzt alle die Arbeiterklasse sind. Oh Gott, gib uns unseren täglichen Bosnier und unser Herz wird es leicht haben.“

Bis vor kurzem war Filip Robar-Dorin Direktor des Slowenischen Filmfonds und Karpo Godina arbeitet als Professor an der Filmhochschule von Ljubljana. Zwei engagierte Lehrer einer jungen selbstbewusst-kritischen Generation, die fantasievoll und keineswegs mutlos ist.
Janez Burger, Erfinder und Direktor des BURGerTHEATER in Ljubljana, landete mit seinem Debütfilm „V leru“ („Müßiggang“, 1999) einen grandiosen internationalen Festivalerfolg. In der Hauptrolle als sinnlos dem Leben entgleitender Slacker-Student: Jan Cvitkovic, der sich vom Schauspieler mittlerweile mit seinem Regie-Film-Debüt „Kruh in mleko“ („Brot und Milch“, 2001) zu einem der wichtigsten europäischen Autorenfilmregisseure entwickelte. Und endlich setzten zwei Frauen beeindruckend dem jahrzehntelangen filmischen Männermonopol ein Ende: Maja Weiss und Hana Slak mit ihren düsteren, traurigen Filmen „The Road of Fraternity and Unity“ (1999) und „Blind Spot“(2002).

International ist man neugierig auf das slowenische Filmschaffen geworden. Das hilft der Szene. Bereits 1997 hat der junge, wilde Igor Sterk fast ohne staatliche Unterstützung, aber mit viel Mut und Leidenschaft seinen Debütfilm „Express, Express“ realisiert. Mit seinem zweiten Spielfilm „Ljubljana“ (2002) stellte er programmatisch die fragwürdige Idylle der slowenischen Hauptstadt in Frage. Das erste und letzte Bild befreit unmissverständlich das Tabu der hohen Selbstmordrate im Land von seinem Schleier.

Damjan Kozole, der sich mit „Porno Film“ (2000) peinlich spekulativ verirrte, sorgte mit „Spare Parts“ („Ersatzteile“) im Wettbewerb der Berlinale 2003 für nicht wenig berechtigtes Aufsehen. Erzählt er doch Geschichten von Asylanten, Flüchtlingen in Slowenien, deren Eingeweide (Ersatzteile) von einheimischen Kriminellen in Italien teuer verkauft werden sollen. Ganz unspekulativ, mit notwendiger Härte und verblüffend selbstkritisch in vielen sorgfältigen Details. Eine wichtige Arbeit.

Gerade abgedreht wurde ein Film, der einiges für das Kinojahr 2005 verspricht: Ein kleines Dorf im slowenischen Karst, Menschen wie überall voller Angst vor dem Tod und dem Chaos, das Leben heißt, auf der Suche nach ein wenig Sicherheit und Wärme. Regie: Jan Cvitkovic, Arbeitstitel: „Od groba do groba“ („Von Grab zu Grab“). Wer aber Jan Cvitkovic und seine Filme kennt, weiß: Trotz des traurig klingenden Titels schimmert bei seinen Filmen immer auch Hoffnung durch.



erschienen im "Magazin für Kontakt d. Erste Bank Group", issue4
> Magazin, Issue4 > Überlebensstrategien in ehemals kommunistischen europäischen Filmlandschaften (Otto Reiter)- > Filmszene Slowakei (Otto Reiter)- > Über Béla Tarr, den einsamen Meister des ungarischen Kinos (Otto Reiter)- > Filmszene in Tschechien (Otto Reiter)- > Filmszene in Serbien und Kroatien (Otto Reiter)- > Filmszene in Tschechien (Otto Reiter)-